Samstag, 24. Januar 2015
Gefangen in der Kälte
5. Januar 1943, das Dorf Smolensk war noch rund 10 Meilen entfernt, doch auf einen Schlag hielten wir an. Ich bin Rudolf Müller, Feldarzt der Dritten Deutschen Infanteriedivision. Ich war noch nie an der Front. Man sagte uns, dass wir nur nch das Dorf Smolensk einnehmen müssten, denn von da war es ja nur noch ein Katzensprung bis Moskau. Ich sollte einige Schwerstverwundete im Lazarett versorgen, der Arzt den ich ablösen sollte, starb auf grässliche Weise: Ein Soldat, der die Schmerzen nich mehr aushielt, rammte ihm sein Messer in die Brust, während er ihm das Leben reten wollte.
Jetzt muss ich ihn ersetzen.
Wir stiegen aus, um zu sehen, wieso wir denn anhielten. Doch als ich vom verrosteten Laster stieg, steckte ich bis zum Becken im Schnee fest, ein Schneesturm zog auf. Während ich mich befreite, versuchten die anderen das Fahrzeug auszugraben. Doch es war ein Kampf, den wir nicht gewinnen konnten, denn wir konnten nicht so schnell schaufeln, wie der Schnee vom Himmel fiel. Als wir schon am Verzweiflen waren, hörten wir ein Dröhnen.
Russische Kampfflugzeuge näherten sich. Wir versuchten vom Lastwagen wegzurennen, damit sie uns nicht verletzten konnten. Ich rannte und rannte, weiter und weiter, erst war ich noch in einer Gruppe, doch als ich mich umsah, war ich allein. Ich ging weiter, in der Hoffnung, dass ich es mir nur eingebildet hatte. Doch langsam wurde mir klar, dass ich wirklich alleine war. Nach Stunden des Laufens war ich erschöpft und brauchte eine Pause. Ich wollte mich unter einen kleinen Tannenbaum setzen, welcher bei einem Hügel stand. Plötzlich brach der Boden unter mir ein, ich dachte, das wäre mein Ende.
Vor ein paar Tagen hatten wir Weihnachten. Damals war ich noch zu Hause bei meiner Familie. Ich hatte zwei kleine Töchter, denen ich je einen Teddybär geschenkt hatte, einen roten und einen blauen.
Unser Weihnachtsbaum war mit wunderschönen Glaskugeln geschmückt. Alles kam mir so vertraut vor, ich war glücklich. In diesem Moment durchbohrte mich die Kälte, ich war wieder zurück in der Realität, in der weiten, kalten Einöde Russlands. Ein russischer Soldat zog mich aus dem Erdloch heraus und trug mich zu einer Höhle, welche in den steilsten Teil des Hügels gesprengt worden war. Er gab mir glühend heissen Tee, welchen er auf einem Gaskocher erhitzt hatte. Er war fürchterlich, doch wenigstens bekam ich einen warmen Bauch. Mit der Zeit wurde mir wärmer, doch ich bemerkte, dass meine linke Hand taub war. Ich konnte sie nicht genauer ansehen, denn wenn ich sie aus dem Handschuh befreit hätte, wäre sie sofort abgefroren. Der Russe zündete ein Streichholz an, damit wir uns sehen konnten. Seine linke Wange war schwarz, sie war abgefroren. Sein ganzes Gesicht glich einer Maske, unter der man nicht sah, wie froh er war, dass er die Nacht nicht alleine überleben musste. Er versuchte zu lächeln, doch es gelang ihm nicht. Wir setzten uns nahe zueinander, damit es ein wenig wärmer wurde, doch es half nicht viel. Das Schlimste war, dass der Schnee, welcher mir den Nacken hinuntergefallen war, durch den warmen Tee geschmolzen war und die Kleidung durchtränkte. Das Wasser gefror wieder und meine ganze Kleidung wurde Steinhart. Jetzt bot die Kleidung kaum noch Schutz gegen die Kälte. Unterdessen zeigten wir uns gegenseitig Photos unserer Familien..Ich konnte nicht glauben, dass man uns Zuhause gesagt hatte, dass die Russen blutrünstige Monster seien. Jetzt zählte nur noch eines: Überleben.
Es war schon stockfinstere Nacht, als ich einschlief. Am nächsten Morgen war der Russe weg, er hatte mir ein Potraitphoto hinterlassen. Auf der Rückseite stand auf Russisch: "Ohne dich hätte ich diese Nacht nicht durchgehalten", am Ende stand auf Deutsch "Danke". Als ich aus der Höhle emporstieg, sah ich deutsche Panzer, welche Richtung Moskau rollten. Wir hatten Smolensk erobert.
Als ich bei meiner Kompanie eintraf, sagte ich niemandem, was ich in dieser Nacht erlebt hatte. Ich sagte mir, dass sie es nicht glauben würden. Nach dem Krieg suchte ich den russischen Soldaten, welchen ich im Schneesturm getroffen hatte. Ein russischer Offizier sagte mir: Er sei in der Schlacht um Berlin gefallen, er habe immer das Bild eines Deutschen Soldaten bei sich getragen.
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